Manfred Nowak

WIEN — Laudatio anlässlich der Verleihung des Bruno Kreisky-Preises für Verdienste um die Menschenrechte an Marijana Grandits am 9. Juni 2015 im Bruno Kreisky Forum für Internationalen Dialog.

 

Geschätzte Festversammlung, liebe PreisträgerInnen,

 

Seit seiner Gründung wird der Bruno-Kreisky Preis für Verdienste um die Menschenrechte an hervorragende internationale und österreichische Persönlichkeiten und Organisationen gleichermaßen verliehen.

Das war eine sehr gute Idee, da durch die Verleihung des Kreisky Preises nicht nur auf Menschenrechtsverletzungen im fernen Ausland aufmerksam gemacht wird, sondern auch auf menschenrechtliche Probleme in Österreich. Es freut mich sehr, dass heute zusätzlich zu den Nachbarinnen in Not zwei mutige Frauen ausgezeichnet werden, deren Lebensläufe durchaus Parallelen aufweisen. Menschenrechtsverteidigerinnen müssen Mut haben, im Ausland wie im Inland. Sich im Irak des Jahres 2015, noch dazu als einzige Jesidin im irakischen Parlament, für die Rechte der Jesiden einzusetzen, erfordert großen Mut und kann auch lebensgefährlich sein. Ich möchte mich daher der laudatio für Vian Dakhil meine persönlichen Glückwünsche anschließen. Sich in Österreich, noch dazu als Angehörige der kroatischen Minderheit und als ehemalige Nationalrats-Abgeordnete der Grünen, engagiert für die Rechte von Frauen, Minderheiten, der LGBT community, von AfrikanerInnen oder Schubhäftlingen einzusetzen, erfordert ebenfalls Mut. Diese Tätigkeit ist sicher nicht lebensgefährlich, aber Marijana Grandits kann viele Geschichten erzählen, wie sie für ihr mutiges Eintreten für die Menschen- und Minderheitenrechte beschimpft, diskriminiert und ausgegrenzt wurde, den einen oder anderen Job nicht bekommen oder auch wieder verloren hat. Dass Marijana Grandits just zu dem Zeitpunkt, an dem ihr der wichtigste Menschenrechtspreis in diesem Land verliehen wird, aus dem selbst ernannten „Menschenrechtshaus der Republik“ (ja, so nennt sich die Volksanwaltschaft allen Ernstes!) ausgeschlossen wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie und Tragik.

 

Marijana Grandits ist ein politischer Mensch im besten Sinne des Wortes: eine Frau, die unsere Welt aktiv gestalten und verändern will, und zwar in Richtung zu mehr Gleichheit, Freiheit, Würde und Menschenrechten. Seit Beginn ihrer beruflichen und politischen Tätigkeit war sie eine engagierte und mutige Menschenrechtsaktivistin, die sich immer für Minderheiten, Diskriminierte, Ausgestoßene und Ausgegrenzte eingesetzt hat.

 

Ich kenne und schätze Marijana seit Jahrzehnten. Wir haben uns in der entwicklungspolitischen Szene der frühen 1980er Jahre kennengelernt, waren gemeinsam im Vorstand des Österreichischen Informationsdiensts für Entwicklungspolitik, im Nord-Süd-Institut, in der Anti-Apartheid Bewegung und ähnlichen Vereinen tätig. Damals wie heute engagiert sich Marijana für das gleiche Ziel: Die österreichische Entwicklungszusammenarbeit soll sich nicht primär an den Interessen der österreichischen Exportwirtschaft orientieren, sondern an den Bedürfnissen und Rechten der ärmsten und am meisten benachteiligten Menschen im Globalen Süden. Sie hat aktiv in vielen Projekten gegen Rassismus im südlichen Afrika oder für die Rechte der Frauen wie beispielsweise gegen die Genitalverstümmelung in Äthiopien gearbeitet.

 

Da sie selbst Angehörige der kroatischen Minderheit im Burgenland ist und zweisprachig aufgewachsen ist, hat sie sich schon während ihres Studiums der Slawistik und Politikwissenschaft aktiv für die Rechte der kroatischen und slowenischen Minderheit in Österreich und für die Anerkennung der Roma als Volksgruppe eingesetzt. Seit den 1970er Jahren war sie Vorsitzende des Kroatischen Akademikerclubs, und 1987 hat sie als Beschwerdeführerin vor dem Verfassungsgerichtshof die Zulassung der kroatischen Sprache als Amtssprache durchgesetzt.

 

Gemeinsam mit ihrem Bruder hat Marijana Grandits, die auch in Moskau studiert hatte, Ende der 1980er Jahre eine dreiteilige ORF-Dokumentation über die sowjetischen Juden („Der Große Exodus“) gestaltet, in der sie sich kritisch mit dem Antisemitismus in der ehemaligen Sowjetunion auseinandersetzte.

 

Bekannt wurde Marijana Grandits vor allem durch ihre Tätigkeit als Abgeordnete zum Nationalrat in den Jahren 1990 bis 1994. Sie war Sprecherin des Grünen Clubs für Außenpolitik, Entwicklungspolitik und Medien, Delegierte zur UNO-Generalversammlung in New York, Mitglied des Internationalen Rates der Parliamentarians for Global Action und Teilnehmerin an vielen Wahlbeobachtungsmissionen, zB in Südafrika, Mosambik, Russland, Kroatien oder Bosnien und Herzegowina. In diese weltpolitisch spannende Zeit fiel nicht nur das Ende der Apartheid in Südafrika, sondern auch der Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens. Schon während des Krieges in Kroatien und Bosnien und Herzegowina engagierte sie sich lautstark gegen den Wahnsinn der ethnischen Säuberungen und systematischen Vergewaltigungen von muslemischen Frauen. Ab 1992 war sie Mitbegründerin und Co-Vorsitzende des Verona Forums, einer Antinationalistischen Plattform von Oppositionellen und Intellektuellen für Frieden und Wiederversöhnung auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien, mit Sitz am Europaparlament in Brüssel. Nach Brüssel sollte sie auch später als Direktorin des Arbeitstisches für Demokratie und Menschenrechte beim Stabilitätspakt für Südosteuropa zurückkehren. Nach dem Völkermord in Srebrenica hat sie an einem Projekt des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte zur Suche nach den Verschwundenen mitgearbeitet und gemeinsam mit der US-Botschafterin Swanee Hunt ökonomische Selbsthilfeprojekte für und mit den Frauen von Srebrenica organisiert.

 

Als engagierte Frauenrechtlerin hat sich Marijana Grandits seit Jahrzehnten in allen ihren vielfachen Funktionen gegen jede Form der Diskriminierung von Frauen, gegen Genitalverstümmelung in Afrika, gegen Vergewaltigung als Kriegsverbrechen am Balkan und für die Gleichberechtigung der Geschlechter in Österreich eingesetzt, was nicht zuletzt durch ihre Aktivitäten im Kosmos Theater zum Ausdruck kommt. Ihr starkes Engagement für die LGBT Community und ihr Kampf gegen Homophobie führten schließlich dazu, dass sie anlässlich der Internationalen AIDS-Konferenz 2010 mit der Leitung des Organisationsbüros in Wien beauftragt wurde, was eine wahre organisatorische und logistische Meisterleistung war.

 

Lassen Sie mich am Schluss noch auf drei gegenwärtige Funktionen von Marijana Grandits eingehen, bei denen ich ihre organisatorischen Fähigkeiten, ihre herausragenden sozialen Kompetenzen und ihre Kunst des Netzwerkens ebenso bewundere wie ihr ungeteiltes Engagement für die Menschenrechte.

 

Als wir Ende der 1990er Jahre gemeinsam mit der Europäischen Kommission den inter-universitären und inter-disziplinären European Master in Human Rights and Democratization in Venedig gründeten, wo ich die Ehre habe, die Universität Wien zu vertreten, haben wir beschlossen, dass wir für die Studierenden auch eine Exkursion in eine post-Konflikt Region organisieren wollen, damit sie die konkrete Menschenrechtsarbeit im Feld kennenlernen können. Am Anfang brachten wir die Studierenden noch mit italienischen Militärflugzeugen ins zerstörte Bosnien, seit nunmehr knapp zehn Jahren findet die Exkursion in den Kosovo statt. Wer wäre besser geeignet als Marijana Grandits, diese Exkursionen zu organisieren? An diesen Exkursionen nehmen heute nicht nur 90 Studierende aus Venedig, sondern auch knapp 30 Studierende des Vienna Master of Arts in Human Rights teil. Alle TeilnehmerInnen aus vielen Ländern der Welt werden bei privaten Gastfamilien in Prishtina untergebracht und haben ein genau strukturiertes Programm, bei dem sie nicht nur die Menschenrechtsarbeit der internationalen Organisationen vor Ort (UNO, OSZE, EU, NATO, Weltbank etc.) kennenlernen, sondern auch mit hochrangigen PolitikerInnen aller Parteien und mit Vertreterinnen der Zivilgesellschaft zusammentreffen und diskutieren. Ich bewundere Marijana für ihre Geduld und ihr unermüdliches Engagement, mit der sie diese logistische Höchstleistung jedes Jahr aufs Neue in Angriff nimmt und meistert. Aus dem feedback der Studierenden ergibt sich, dass diese Exkursion jedes Jahr den absoluten Höhepunkt ihres Studiums darstellt.

 

Es lag daher auf der Hand, Marijana als akademische Koordinatorin zu engagieren, als wir 2012 den inter-disziplinären Master of Arts in Human Rights an der Universität Wien gründeten. Sie ist die wichtigste Person, ja die „Seele“ unseres Master Programms. Sie ist die erste Ansprechperson für die Studierenden und für die Lehrenden der Universität wie aus der Praxis, was eine nicht einfache Sandwich-Position darstellt. Denn alle Interessen, einschließlich jene vielbeschäftigter Universitätsprofessoren und Botschafter und mit Recht anspruchsvoller Studierender, unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach. Marijana schafft das bravourös und organisiert noch zwischendurch soziale Aktivitäten der Gruppenbildung, wie gemeinsames Einkaufen und Kochen am Naschmarkt oder ein gemeinsames Ski-Wochenende.

 

Seit dem Jahr 2000 ist Marijana auch Mitglied und meine Stellvertreterin in einer von sechs österreichischen Besuchskommissionen, die ursprünglich beim Menschenrechtsbeirat im Innenministerium angesiedelt waren und 2012 der Volksanwaltschaft angegliedert wurden. Als sogenannter „Nationaler Präventionsmechanismus“ gegen Folter und Misshandlung haben wir das Recht, unangemeldet alle Orte zu besuchen, wo Menschen ihrer persönlichen Freiheit beraubt werden können oder sonst der Gefahr ausgesetzt sind, unmenschlich oder menschenrechtswidrig behandelt zu werden. Wir besuchen regelmäßig Polizeidienststellen und Polizei-Anhaltezentren, Strafvollzugsanstalten, Einrichtungen des Maßnahmenvollzugs und Untersuchungshaftgefängnisse, Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser und psychiatrische Einrichtungen, Jugendheime, Wohngruppen und Krisenzentren für Jugendliche sowie verschiedenste Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. Häftlinge gehören generell zu den am meisten ausgegrenzten Personengruppen unserer Gesellschaft, für die nur wenige Menschen Empathie zeigen. Marijana Grandits hat in den vergangenen 15 Jahren eindrucksvoll unter Beweis gestellt, mit welchem Engagement sie sich gerade für diese Menschen auf der untersten Stufe der sozialen Stufenleiter einsetzt: für Schubhäftlinge aus aller Herren Länder, wobei ihre profunden Fremdsprachenkenntnisse (Englisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Serbisch/Bosnisch/Kroatisch sowie andere slawische Sprachen) uns in der Regel nicht nur Dolmetscher gespart haben, sondern auch die Polizei nicht selten aus einer schwierigen Situation der Kommunikationslosigkeit gerettet haben; für tschetschenische Frauen, die mit Kleinkindern ohne Mann abgeschoben werden sollten und häufig trotz ihres Einsatzes leider auch wurden; für Afrikaner, die Opfer rassistischer Polizeigewalt wurden; für drogenkranke Strafgefangene; für alte Menschen, die von ihren Angehörigen in Pflegeheime abgeschoben wurden; für Menschen mit physischen und psychischen Behinderungen; für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in trostlosen Unterkünften und viele andere ausgegrenzte Menschen, die in unserer Wohlstandsgesellschaft keinen Platz finden. Wenn wir kurzfristig eine Delegation zur Beobachtung einer Demonstration, Abschiebung oder Razzia organisieren mussten, war Marijana immer zur Stelle, auch nachts und an Wochenenden. Sie ist die wahre „Seele“ unserer Kommission, und viele unserer Kommissionssitzungen haben bei ihr zu Hause stattgefunden, wo sie uns fürstlich bewirtet hat.

 

Allerdings hat sich ihre Kritik nicht nur auf die besuchten und beobachteten staatlichen Einrichtungen bezogen, sondern auch auf die etwas bürokratische und schwerfällige Art und Weise, wie die Volksanwaltschaft mit unseren Berichten und Anregungen umgegangen ist. Diese ihre Aufmüpfigkeit hat dazu geführt, dass sie selbst wieder einmal ausgegrenzt wurde, diesmal von den drei VolksanwältInnen, die sie trotz ihrer hervorragenden Verdienste nicht einmal zu einem Interview für eine mögliche Wiederbestellung eingeladen haben, sondern ihre Wiederbewerbung schlichtweg ignoriert haben.

 

Liebe Marijana, es gibt wenige Menschen in Österreich, die den Bruno Kreisky Preis für Verdienste um die Menschenrechte so sehr verdient haben wie Du. Ich gratuliere Dir, Djamila und Valerie, Deinen Eltern und Geschwistern aus vollem Herzen zu dieser hohen Auszeichnung.

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